freiesSMünchen

( 1993 )

Diesen Namen hat sich Ende 1992 ein Münchener SM-Freundeskreis - in einwandfreiem demokratischen Verfahren - gegeben. Wichtig ist uns die gewisse Buchstabenkombination in ihrer neueren Bedeutung. Mit echtem Sadismus im klinischen oder strafrechtlichen Sinn z.B. wollen wir ausdrücklich nichts zu tun haben. Unser Thema sind erotische Spannungen und Spiele unter Erwachsenen in beiderseitigem Einverständnis. Wir verstehen uns als ein loser Kreis (manche sagen auch unscharfe Menge), der hoffentlich von den in fester Vereinsstruktur lebenden SM-Leuten akzeptiert werden kann, wenigstens solange in der ßene kein Struktur-Code eingeführt wird.
Wir halten bereits das gegenseitige Kennenlernen und den Gedankenaustausch für hinreichend als Daseinsberechtigung unseres Kreises. Um Mißverständnissen vorzubeugen: wir sind keine Partnervermittlung! Wir legen auch großen Wert darauf, daß sich Frauen bei uns wohl fühlen, d.h. wir haben keinerlei Verständnis für Machotum, schlechte Manieren oder miese Anmache von Frauen.
Da trotz all dieser Verwarnungen immer wieder von Frauen Klagen kommen, haben wir uns zu einem Sicherheitscode entschlossen. ähnlich, wie es bei SM-Aktivitäten den Hilferuf "Mayday" gibt, so wird in Zukunft jeder, der einer Frau mit seinen unerwünschten Ergüssen auf den Keks geht, mit einem lauten und öffentlichen "Rumpelstilzchen" rechnen müssen. Und damit ganz klar ist, wer gemeint ist, wird die Frau mit dem Finger auf das Rumpelstilzchen deuten.
Darüber hinaus informieren wir uns gegenseitig über unsere ganz private "Infrastruktur" (Räume, Utensilien, Literatur, technische Fähigkeiten, usw.) und fördern so hoffentlich die private ßene und erleichtern die Realisierung von Träumen. Der psychische Profit hat dabei eindeutig Vorrang vor dem finanziellen.

Bei Interesse organisieren wir Gesprächskreise. Thema, Zeit und Ort werden von den Mitwirkenden bestimmt.

Einen "einschlägigen" Stammtisch gibt es bereits seit über 12 Jahren. Nach einer Odyssee durch verschiedene Münchener Lokale residiert er nun Donnerstags ab ca. 20 Uhr im PEPPERMINT in der Müllerstraße 41, mit Schwerpunkt "letzter Donnerstag im Monat". Mittlerweile gehören so etwa 50 Seelen mehr oder weniger dazu, wollen wir mal mit Zahlen nicht übertreiben! (Ich werde das Gefühl nicht los, daß es im Großraum München noch eine ganze Menge solcher Zirkel gibt, die getrennt vor sich hinleben und nichts voneinander wissen wollen). Wer sich für uns interessiert, sollte uns über:
Postfach 190144, 80601 München [Achtung: alt]
anschreiben und dabei diese Adresse pur verwenden.

Seit Sommer 1992 organisieren liebe Leute von uns auch praxisnahe Parties für uns und für Gäste. Diese Parties werden sechsmal im Jahr abgehalten, und zwar in einem perfekt ausgestatteten Profistudio mit Freigelände. Hierfür erheben sie pro Person einen Beitrag für das Büfett und die Getränke, Herren zahlen zusätzlich einen Eintritt. Für die Parties gibt es eine separate Postadresse.

Bei diesen Parties finden wir es wenig luststeigernd, uns in ein Kleiderordnungskorsett (nichts gegen Korsetts!!) zu zwängen. Toleranz üben und toleriert werden paßt besser zu uns. Aber, aber: da wir uns gegenseitig als erwachsene, sich respektierende Menschen verstehen, erwarten wir natürlich auch, daß Jede oder Jeder in Selbstverantwortung das jeweils zur Stimmung passende Outfit aussucht. Wir halten es auch in keiner Weise der Lustgewinnung förderlich, gegen die Grundsätze der Freiwilligkeit und der Selbstbestimmung der Person zu verstoßen. Für Kinder, Früh- und Spätpubertierende sind wir nicht die richtige Gesellschaft, da werden wir schnell exklusiv im strengen Sinn. (Zur Erinnerung: exklusiv kommt von lat. excludere = ausschließen).

Nicky (freieSMünchen)


freiesSMünchen

von Thomas ( 8/93 )

Oh Schreck, laß nach! Das hat uns gerade noch gefehlt. SM wird gesellschaftsfähig. Der deutsche Ordnungsgeist hat einen großen Magen - aber keine Sorgen vor falschen Freunden! Hier geht es um ordnungswidrige Erotik und verbotene Früchte. Und weil dem so ist, hat es eine besondere Bewandtnis, wenn wir ein gewisses "coming out" praktizieren. Es ist ein Zeichen, daß wir es nicht länger hinnehmen wollen, als sexuelle Minderheit unterdrückt zu werden. Und es hilft jedem einzelnen, der sieht, daß er nicht in der isolierten Vereinzelung ist, in der wir mundtot und lichtscheu gemacht werden. Außerdem sind Leute, die SM machen, selten Einzeltäterpaare, die sich selbst genug sind. Hier können wir uns gegenseitig kennenlernen, ohne auf obskure Organe angewiesen zu sein. Ob wir Parties privat oder als Kreis veranstalten, ist sicher Geschmacksache. Natürlich kann und soll nichts die besondere erotische Atmosphäre der Privatheit ersetzen, es geht hier nur um eine Ergänzung. Worum geht es überhaupt in unserer Erotik? Es ist eine Erotik, die sich rückhaltlos zur Triebstruktur des Menschen bekennt, wie sie ist. Wir machen kein Hehl daraus, daß Sexualität zutiefst auch Aggression ist. Wir bekennen uns zum Spiel mit dem Feür, zur Angstlust und zum Reiz der Gefahr. Indem wir dies kultivieren und gestalten, wird es zur anthropologischen Größe, zur SM-Erotik. Wir leben die Aggression dort aus, wo sie mit Fug und Recht hingehört: in der Sexualität. Deshalb lehnen wir sie auch überall sonst ab.

Das Tabu über unserer Erotik hat seinen guten sozialen Grund: Die maßlose Gewaltbereitschaft im Alltag ist eine Kulturleistung, die nur möglich wird, wenn die natürliche Aggression blockiert und ins Soziale umgeleitet wird. Die soziale Kodifizierung, daß Erotik ausschließlich aus Zärtlichkeit zu bestehen hat, ist in Wirklichkeit ein brutales Herrschaftsinstrument. SM stellt deshalb eine subversive Bedrohung für die Funktionsmechanismen von Hierarchien, institutioneller Gewalt und staatlicher Macht dar. Unsere Art zu leben hat folgerichtig auch ihre Maertyrer (den göttlichen Marquis und den geächteten Leopold) und ihre Propheten (den zerquälten Edgar Allan und den unglückseligen Charles).

Wir bekennen uns zur schwarzen Romantik und sind vielleicht die letzten Romantiker überhaupt in einer Zeit, in der eine sog. sexuelle Revolution den klinisch sauberen Orgasmus zur Bürgerpflicht erhoben hat. Unter uns gibt es Liebespaare, so rein wie Abelard und Heloise, aber auch Leute, die von 9 1/2 Wochen zu 9 1/2h Wochen im siebten Himmel schweben. Wir leugnen nicht die Liebe, aber wissen, daß Sexualität und Liebe nicht dasselbe ist. Beim Sex wird das Du zum Objekt. Diese Wahrheit kann und darf nicht gegen die Liebe aus- gespielt werden. Die Leute kriegen einen Orgasmus, weil sie aufeinander geil sind, nicht weil sie sich lieben. Ohne die sexuelle Aggression wäre die Menschheit schon längst ausgestorben!

Bei uns lecken Männer den Frauen die Stiefel, und Hexen lecken dem Teufel den Arsch. Man nennt uns pervers, weil wir genau das tun, was alle gern tun würden, aber sich keiner traut. Die wahrhaft Perversen sind die, die ihr ganzes Leben mit Phantasien herumlaufen und sich nicht trauen, sie auszuleben, weil sie zu feige sind, der Gesellschaft ins Gesicht zu spucken. Wenn an überhaupt etwas pervers nennen kann, dann diese massenhafte Verstümmelung der eigenen Existenz. Jeder erlaubten Ersatzdroge rennen sie hinterher. Man geht ins Kino und wartet nur darauf, daß der Held ausgepeitscht wirel und die Heldin in Ketten schmachtet. Wenn dann endlich der boese Gouverneur das unschuldige Fleisch schändet, sind die Frauen patschnaß und die Männer haben einen Steifen. Aber danach will keiner etwas gesehen haben, und selbst wenn man darüber spricht, dann nur in der witzelnden Distanz. Wenn es um SM geht, wird gelogen, daß sich nur so die Balken biegen - aber wir sind die Perversen.

Da in der SM-Erotik alles auf freier übereinkunft beruht, wird natürlich auch niemandem wirklich Gewalt angetan. Das Sklavenobjekt mag völlig rechtlos sein, aber sein Recht auf Lust gibt es nie auf. Die alberne Frage nach der Grenze ist damit auch schon beantwortet: die Grenze ist genau da, wo sich der Schmerz nicht mehr in Lust umsetzen läßt. Diese Grenze ist natürlich individuell sehr verschieden, bei manchen ist sie schon bei intensiven Streicheleinheiten er- reicht (das nennt man dann: soft-SM), andere geben sich erst zufrieden, wenn sie einen blauen Fleck haben. Wir sind keine Schlägertypen oder Flintenweiber, sondern reagieren mit seismographischer Sensibilität auf die Gefühle des Partners. Und es geht dabei so gerecht zu, daß es fast schon peinlich ist. Das Sklavenobjekt ist das eigentliche Objekt des Geschehens. Alles dreht sich um SIE oder Ihn. Das arme Herrensubjekt muß das Sklavenobjekt bedienen und zufriedenstellen, es muß die ganze Phantasie aufbringen und die ganze Action machen. Die Dialektik von Herr und Knecht hat hier ihren tieferen anthropologischen Sinn. Was wir hier und heute machen, ist deshalb auch nur ein Vorschein des wahrhaft befreiten Menschen. Und da wir an den freien Menschen der Zukunft glauben, heißen wir auch freieSMünchen.

Thomas, Aug. 1993