Der Sadomasochist, das unheimliche Wesen

von Nicky (8/94)

Wo und wann immer man mit Sadomasochisten diskutiert, findet man die weithin tönende Klage: wir sind eine unterdrückte, wenn nicht gar verfolgte erotische Minderheit.
Ich selbst bin mir nicht klar darueber, was bei dieser Selbsteinschätzung Wahrheit und was Verfolgungswahn ist, bzw. eine starke Bereitschaft zur Selbstzensur. Ich meine, eine unverstandene Minderheit sind wir sicher, und diesem Unverstandensein fängt die reale oder eingebildete soziale Misere eben an.

Es gibt ein Phänomen im Zusammenleben von Menschen, das uns alle nicht sehr erfreut, das aber auch durch angestrengtes Vorbeidenken nicht zu beseitigen ist:
"Was anders ist, ist schlecht." Das Andere, das Nicht-zu-verstehende, das Nichtnachvollziehende, es irritiert, verunsichert, weckt Abwehr und Abwertung.

Beispiele gibt es genug: die anderen Essens- und Bekleidungsgewohnheiten der Familie von nebenan oder gar das vorschriftsmäßige Kopftuch. Mittlerweile sind wir zwar so aufgeklärt, daß rote Haare nicht mehr auf den Weg zum Folterkeller und zum Scheiterhaufen führen, aber die Dresscode probleme im heutigen SM-"Folterkeller" wären für die Soziologen auch nicht ganz ohne. Ich habe mich vor langer zeit dadurch zum Außenseiter gemacht das ich täglich als einziger mit dem Fahrrad zum Institut kam. Ein immerhin habilitierter Physiker formulierte es so:
"Das ist ein unerträglicher Snobismus. Kann denn der nicht auch mit dem Auto fahren, wie wir alle !"

Er hat das Schlüsselwort gesprochen: "Wie wir alle !" Wir sollen doch alle gleich, gleichartig sein, das ist nämlich gut.

Wenn wir in unserer menschlichen Erscheinungsvielfalt (theoretisch gesehen ein wichtiger Aspekt der Verherrlichung Gottes) schon nicht so uniform sein können, wie es den meisten gut und bequem erscheint, bleibt uns nichts übrig, als uns gegenseitig zu verstehen oder wenigstens zu respektieren. Diese Forderung gilt, auch wenn wir uns beim anderen nicht heimisch fühlen, wenn er uns un-heimelig, sprich unheimlich vorkommt.

Also: weinen wir nicht, wir armen, unverstandenen Sadomasochisten, sondern machen wir statt dessen Aufklärungsarbeit!

Jetzt gerate ich in Schwierigkeiten: Was geht mein Erotikleben das übrige Volk denn überhaupt an ? Gar nichts ! Mir ist es auch egal, wie die ihren Nachwuchs zeugen, Hauptsache es wird nicht zu viel und auch nicht zu wenig. Wozu dann Aufklärungsarbeit ?

Weil der Mensch anscheinend doch ein animal sociale ist und gerade gerne in Harmonie mit seiner Umgebung leben möchte und Verstehen und Respekt die Vorbedingung hierfür sind !

Wie kann man gegenseitiges Verstehen fördern ? Was könnten die Medien beitragen ? Mir fällt ein, wie sie es beispielsweise nicht fördern: durch den Schlüssellochblick ins Dominastudio oder auf eine Privatfete, wobei die andersartigen (=perversen) vorgeführt werden wie Weiland die Wilden im Hagenbecks Völkerschauen. ( Diese waren ja die Anwendung des Tierparkgedanken auf menschliche Wesen.) Wie wohl wird einem da in der Sofaecke, daß man nicht so ist wie jene da. Oder es klingt eine Saite in einem an, die zutiefst verunsichert und aggressiv macht. Jedenfalls wird die Sensationslust auf billige Art und Weise befriedigt und das tut der Auflage oder der Einschaltquote gut.

Vielleicht geht es auch anders. Vielleicht kann man dem Publikum ganz behutsam die hier relevanten psychischen Spezialbegabungen nahebringen und aufzeigen, daß diese Begabungen so speziell nun auch wieder nicht sind. Das fordert den Medienleuten viel ehrliches Bemühen und echte Arbeit ab. Dann wären sie in der Lage, die falschen Vorstellungen z.B. von der praktizierten Gewalt auszuräumen und an ihre Stelle die von dem zelebrierten gegenseitigen Vertrauen zu setzen. Es kann durchaus interessant und auch lohnend sein, besonders nach der siebzehnten Sklave-im-Dominastudio-Darstellung, hinter die Fassade der Aktionen zu schauen und die spirituellen und therapeutischen Aspekte des SM-Lebens zu begreifen. Das ist dann wirklich aufregend und - aufklärend.

Um ein neutrales Beispiel zugegeben: oberflächlich betrachtet ist Arbeit eben Arbeit. Unter die Oberfläche geschaut, ist sie Broterwerb, Selbstverwirklichung oder Strafe.

Unterwerfung, Herrschaft, Gewalt, Strafe sieht aus wie Unterwerfung, Herrschaft, Gewalt, Strafe. Was es aber im Einzelfall wirklich ist, das durch einen Blick in die tiefe offenbar zu machen, das ist doch eine Aufgabe, die "den Schweiß der Edlen wert" ist. Das gilt nicht nur für die Medien, das gilt für uns alle.

In einem Vortrag hörte ich einmal, genau wie der Körper der Vitamine bedarf, so braucht auch er zum Gesundbleiben auch Exstasen.

Es gibt Kulturen, in denen der Mensch mit den lebensnotwendigen Ekstasen versorgt wird.

In unserer sieht es damit etwas mager aus: nun ja, freie Fahrt für freie Bürger, 250 auf der überholspur, das Gummi- seilspringen, das Extremklettern, mit dem Kajak über den Rheinfall bei Schaffenhausen. Das alles und ähnliches wird noch selbstverständlich akzeptiert. Und SM ? Unschädlich, umweltfreundlich, ungefährlich - kaum Umsatz, kaum Gewinn, kaum Steuer. Aber: un-heimlich.

Das kann sich ändern meint

Nicky


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